UNTER DEM PFLUG DER ZEIT 20

THE SHOOT – AN ORIENTAL ODYSSEY

Die dritte Ausgabe des internationalen Kunstfestivals UNTER DEM PFLUG DER ZEIT findet vom 6.-13. September 2020 wieder im Kosovo statt. Nach der Beschäftigung mit Entstehungs- und Zerstörungsmythen im Jahr 2018, dem Schicksal der Medea 2019, setzen wir uns 2020 mit Karl Mays Roman „Der Schut“ auseinander, wobei das Festival den englischen Titel aufgreift: THE SHOOT – AN ORIENTAL ODYSSEY. Mays Orientzyklus wurde 1964 in einer deutsch-französisch-italienisch- jugoslawischen Koproduktion u.a. in Strellc, Peja und Decan verfilmt, also in den Aufenthalts- und Probeorten unseres Festivals rund um die 200 jährige Kulla der Familie Beqiraj.

Zahlreiche BewohnerInnen dieser Region haben zur Jugoslawien-Zeit als Kinder oder Jugendliche bei der Verfilmung mitgespielt und wissen heute noch genau, wo sich das Versteck des „Räubers“ SHOOT samt seiner Bande befindet. Und sie wissen auch: Der SHOOT ist nicht tot. Er verbreitet immer noch Angst und Schrecken. Niemand kennt die wirkliche Identität dieses Aufrührers. Wenn er erneut loszieht, ein Dorf verwüstet und die widerspenstige Bevölkerung auslöscht – dann nagelt er als Zeichen seiner Un-Kenntlichkeit ein abgeschnittenes Ohr an die Haustür.

Das Thema des abgeschnittenen Ohres, das als Zeichen dafür steht, dass jemand zu viel oder eben zu wenig hört, wenden wir auch beim zweiten Schwerpunkt unseres Festivals an, der Beschäftigung mit dem Mythos Beethoven. Vor 250 Jahren geboren, hat Beethoven die letzten Jahre seines Lebens taub verbracht und dabei einzigartige Musikwerke komponiert. Diese wollen wir in der Landschaft von Dukagjini neu und anders zu Gehör bringen, etwa durch spezielle Konzerte in Kullas und an außergewöhnlichen Orten, oder durch Landart-Projekte, bei denen z.B. ein überdimensionaler, riesiger Konzertflügel in ein Feld bei Strellc/Decan gebaut wird, an dem während der Festivalwoche 5 Mal am Tag ausgewählte Musikstücke von Beethoven zu hören sind.

Den dritten Schwerpunkt bildet eine Arbeit des deutschen experimentellen Regisseurs Christoph Schlingensief, der 1999 in Nordmazedonien das kosovarische Flüchtlingslager Bllaca gefilmt und anschließend an der Berliner Volksbühne eine performative Installation mit dem Titel „Deutschland-Suche“ inszeniert hat, wobei auf der Hinterbühne ein Zeltlager errichtet wurde.
Da wir an einer spielerischen Überwindung von Stereotypen und kolonialistischen Vorurteilen interessiert sind, möchten wir in den Feldern von Strellc eine experimentelle SHOOT-Zeltstadt errichten, in der die eigenen wie auch fremden Klischees von Identität auf lustvolle Weise überprüft und transformiert werden können.

Für den SHOOT wird die Kooperation mit mehreren Universitäten aus Mitteleuropa und dem Balkanraum fortgesetzt und ausgebaut. Wir laden 30 Studierende aus österreichischen und deutschen Universitäten in den Kosovo ein. Nach der erfolgreichen Zusammenarbeit mit der kosovarischen Universität UBT im Jahr 2019 stellt diese 2020 ihr Netzwerk an Hochschulen im Balkanraum dem Festival zur Verfügung und lädt ihrerseits 30 Studierende zum Festival ein. Gesamt sollen 60 Studierende und 60 KünstlerInnen aus ca. 20 Nationen an dieser Sommer-Akademie teilnehmen. Neben den kosovarischen Fakultäten für Kunstgestaltung, Architektur, Design und Media werden PerformerInnen, MusikerInnen, bildende KünstlerInnen, ArchitektInnen, FilmemacherInnen und WissenschafterInnen in Decan, Peja, Strellc und Umgebung mitwirken.

Bereits im Vorfeld führen wir Gespräche mit BewohnerInnen aus den Regionen Decan und Peja, um deren Erlebnisse während der Dreharbeiten und ihre Einschätzung der historischen Entwicklung des Kosovo seit den 1960er Jahren im Rahmen des Festivals zu bearbeiten.

Wir sind nicht an einer Nachverfilmung des SHOOT interessiert, sondern an einer zeitgenössischen Befragung und Überwindung der politischen und künstlerischen Stereotypen und Klischees.

VORLÄUFIGER ZEITPLAN DER FESTIVALWOCHE:

Samstag, 5.9.2020:
16 Uhr: Busfahrt von Wien (HBF) nach Peja ins Hotel Camp Karagaq.

Sonntag, 6.9.2020:
Anreisetag; Check-in Hotel Camp Karagaq, Peja. Freie Zeiteinteilung bis 19 Uhr.
19 Uhr: Kick-off und erste Projektbesprechungen; anschließend Opening-Party.

Montag, 7.9.2020:
10 Uhr: Fahrt vom Camp Karagaq nach Strellc (15km): Besichtigung der Kulla und der Landschaft.
14 Uhr: Fahrt von Strellc zum Restaurant Gryka (ca. 10km, dort Essen).
16 Uhr: Fahrt bzw. Fußweg vom Restaurant Gryka zum Kloster Decan und zur Hotelruine (ca. 2km); Besuch der beiden Anlagen.
18.30 Uhr: Fahrt vom Kloster Decan zum Camp Karagaq (16km).
20 Uhr: Treffen und Party

Dienstag, 8.9.2020:
10 Uhr: Fahrt vom Camp Karagaq nach Strellc, dort Beginn des Aufbaus und Catering (ca. 13 Uhr).
14 Uhr: Fahrt von Strellc nach Prizren (65km), individuelle Stadtbesichtigung.
19 Uhr: Fahrt von Prizren zum Camp Karagaq (75km)
21 Uhr: Treffen und Party

Mittwoch, 9.9.2020:
Vormittag bis 14 Uhr: Material-Einkauf individuell oder in Gruppen in Peja.
14 Uhr: Fahrt vom Camp Karagaq nach Strellc, dort Aufbau u. Catering (ca. 17 Uhr). 19 Uhr: Fahrt von Strellc zum Camp Karagaq.
21 Uhr: Treffen und Party

Donnerstag, 10.9.2020:
Vormittag bis 12 Uhr: Material-Einkauf, Besprechungen, etc.
12 Uhr: Fahrt vom Camp Karagaq nach Strellc, dort Aufbau und Catering (ca. 14 Uhr).
17 Uhr: Fahrt von Strellc nach Gjakova (27km), dort Besuch des Ethnografischen Museums und Besichtigung des Altstadt-Bazars.
21 Uhr: Fahrt von Gjakova zum Camp Karagaq (35km).

Freitag, 11.9.2020:
Vormittag bis 14 Uhr: Material-Einkauf, Besprechungen, etc.

14 Uhr: Fahrt vom Camp Karagaq nach Strellc, dort Aufbau, Catering (ca. 17 Uhr) und Lichtproben.
22 Uhr: Fahrt von Strellc zum Camp Karagaq.

Samstag, 11.9.2020:

Vormittag bis 14 Uhr: Materialeinkauf, Besprechungen, etc.
14 Uhr: Fahrt vom Camp Karagaq nach Strellc.
18 Uhr: Beginn der Präsentation. Catering wird in die Performances integriert. Abschlussparty in Strellc.
01 Uhr: Fahrt von Strellc zum Camp Karagaq.


Sonntag, 12.9.2020:
11 Uhr: Check-out vom Camp Karagaq (Gepäck kann dort gelagert werden). ca. 16 Uhr: Fahrt vom Camp Karagaq nach Wien (HBF).

KOSTEN FÜR TEILNEHMENDE AB WIEN:

Einzelzimmer: 250.- Euro.
Zwei- bis Vier-Bettzimmer: 200.- Euro.
Im Preis inkludiert sind: Organisierte Busreise am 4.7.2020 um 16 Uhr vom Wiener Hauptbahnhof ins Hotel Camp Karagaq in Peja (Kosovo) und retour am 12.7.2020 um 16 Uhr vom Hotel Camp Karagaq nach Wien. Sieben Übernachtungen im Hotel Camp Karagaq (Einzelzimmer im Hotel Shala, 5 Gehminuten vom Hotel Camp Karagaq entfernt). Fünf Mal Catering in Strellc. Organisierte Busreisen täglich vom Hotel zum Probenort und retour und zusätzlich zum Kloster Decan, nach Gjakova und nach Prizren.

Bei einfacher Fahrt (also nur Hin- oder Retourreise mit dem Bus von bzw. nach Wien):
Kosten für Einzelzimmer: 220.- Euro.
Kosten für Zwei- bis Vier-Bettzimmer: 170.- Euro

Bei selbständiger An- und Abreise zum und vom Hotel Camp Karagaq:

Kosten für Einzelzimmer: 170.- Euro.
Kosten für Zwei- bis Vier-Bettzimmer: 120.- Euro.

Überweisung auf folgendes Konto:

transit – Interdisziplinäre Kunst und Kultur
IBAN: AT48 3600 0000 0074 6198
Verwendungszweck: THE SHOOT + Vor- und Nachname

ALLGEMEINE DATEN:

Veranstaltungszeitraum: 6.-13. September 2020.
Präsentation: 12. September 2020, 18-24 Uhr.
Veranstaltungsort: Strellc, Region Decan, Kosovo.
Veranstalter: Der österreichische Kunstverein transit in Kooperation mit dem kosovarischen Kunstverein Stralli.

Verantwortliche Personen: Andreas Pronegg (AUT), Katarina Csanyiova (SK), Alban Beqiraj (XK), Rajmonda Ahmetaj (XK).

Video UNTER DEM PFLUG DER ZEIT 19

Weitere Informationen, Videos, Fotos unter: www.stralli.org

ZUSATZINFORMATIONEN

1.
Das Balkanbild im Roman und Film:
Karl Mays Völkerskizzen vom Balkan und sein Bild der AlbanerInnen sind oberflächlich, lückenhaft und von Stereotypen durchzogen. Er gibt in seinen Balkanromanen den „Skipetaren“ weder eine albanische Sprache, noch einen albanischen Namen. Für seine Erzählungen bedient er sich u.a. unwissenschaftlicher Transkriptionen aus dem kyrillischen oder dem osmanisch-arabischen. Kara Ben Nemsi, das Alter Ego von Karl May, ist ein europäischer Kolonisator. Er hat „im wilden Balkan“ eine enorme zivilisatorische Aufräumarbeit zu vollbringen, ähnlich der Aufgabe des Herakles bei der Säuberung der Augias-Ställe. Dabei muss der deutsche Übermensch auf seiner Jagd nach dem unbekannten Schut permanent eine gewaltige Übersetzungsarbeit leisten: Er muss die Werte seiner zivilisierten Heimat in diesem „feindlichen, exotischen Naturraum“ durchsetzen, um seinem Verständnis von Gesetz und Ordnung zum Recht zu verhelfen und den Schut seiner „verdienten“ Strafe zuzuführen.
Die Verfilmung aus dem Jahr 1964 greift die imperialen Narrative von Karl Mays Orient-Roman auf und verbindet sie ihrerseits, kurz nach dem 2. Weltkrieg und dem deutschen Eroberungsfeldzug durch den Balkan, mit filmischen Klischeebildern von „naturnahen“ Völkern, die mitteleuropäischen Wertvorstellungen vollkommen fremd gegenüberstehen. Aufgrund der binären Kodierung der Erzählungen müssen diese Störenfriede in Duell-Szenen ausgemerzt werden – wobei von Anfang an kein Zweifel darüber besteht, wer in diesem Kampf letztlich die Oberhand behalten wird.

2.
Unsere Arbeitsweise:
Bei der spielerischen Auseinandersetzung mit dem Karl-May-Roman und dessen Verfilmung arbeiten wir mit ausgewählten künstlerischen und theoretischen Texten auf Albanisch, Deutsch, BKS und Englisch. Die unterschiedlichen Balkan- und Europadiskurse begreifen wir als Möglichkeit, sich des je eigenen Standpunktes bewusster zu werden, um überprüfen zu können, mit welchen Vorurteilen und Stereotypen das eigene Denken behaftet ist. Zur Reflexion dienen uns dabei vor allem interdisziplinäre und interkulturelle künstlerische Positionen, die herkömmliche Denkweisen zu durchkreuzen vermögen und die Blickrichtung von Innen und Außen, Sprachmacht und Ohnmacht, Bildgewalt und Gestaltlosigkeit austauschen oder auflösen.

Wir möchten historische Raumbegriffe und Sprach- sowie visuelle Bilder interdisziplinär untersuchen, um zu einem Wahrnehmungs-Wandel der tradierten Vorstellungen von An-Ordnung und Fremdheit zu gelangen. So wie die Studierenden und KünstlerInnen aus Mitteleuropa und dem Balkanraum wandern, um sich gemeinsam in einem kleinen Dorf namens Strellc zu treffen und von dort weiter in andere Ortschaften wandern und durch den Kosovo reisen, so sollen das Denken und die Konzepte (auch untereinander) wandern. Wir begreifen den gemeinsamen Lernprozess als eine unkontrollierbare Bewegung und das lernende Subjekt als permanent in Bewegung und Veränderung befindlich. Auch Theorien, Begrifflichkeiten und Sprach-Bilder sollen einem Wandel unterzogen werden. Dabei soll das eigene disziplinäre, aber auch das interdisziplinäre Denk- und Urteilsvermögen weiterentwickelt werden. Weltsicht und Handeln der Lernenden sollen spürbar und für einen selbst und für andere sichtbar gemacht werden.

Dadurch können neue kulturelle, politische und künstlerische Zusammenhänge hergestellt werden, die vorher nicht bewusst und auch nicht vorstellbar waren. Manchmal ermöglicht ein Sprung die Überquerung der Todesschlucht, nicht ein Schritt.

3.
UNTER DEM PFLUG DER ZEIT
ist eine Plattform, die möglichst junge Menschen aus dem Balkan und Mitteleuropa zusammenführt. Sie misstraut den herrschenden politischen und ökonomischen Regeln, Ideologien und Wahrnehmungen. Sie öffnet sich radikal neu zu entdeckenden Künsten, Wissenschaften, Technologien und Sprachen.

UNTER DEM PFLUG DER ZEIT kooperiert mit Universitäten, Schulen, Technologiebetrieben, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, sozialen und karitativen Einrichtungen aus mittlerweile 20 Ländern. Unser Kapital maximiert sich mit den Erlebnissen und Erfahrungen, die wir im transnationalen, interkulturellen und interdisziplinären Austausch gewinnen.

Unser Spiel ist unberechenbar. Und unser Spiel ist ernst. THE SHOOT – AN ORIENTAL ODYSSEY begreifen wir als internationale künstlerische Werkstatt, die einen Transfer, Austausch, Umbau und die Auflösung von kolonialistischen Vor- Bildern und Stereotypen ermöglicht.